Von Rezeptionsprothesen, Gängelbändern und 12 Stück Kuchen
»Gut gesagt, aber unser Garten muss bestellt werden.« Candide meint es am Ende der gleichnamigen Satire von Voltaire ernst: Er fällt dem Fatalismus anheim und schwört dem Optimismus ein für alle Mal ab.
So resignativ und bedauernd es klingen mag – als Gestalter begegnet man dieser Haltung recht oft. Dahinter steckt ein unausweichlicher Vorbehalt gegen vermeintlich Oberflächliches, das wie Lack über alles gezogen werden kann und vor lauter Glanz und Schein das Auge gar nicht zum eigentlichen Objekt der Betrachtung vordringen lässt.
Candide unterstellt mit seinem »aber« am Ende seiner Irrfahrt, dass all die guten Worte nur davon abhalten, sich mit Substanziellem zu beschäftigen, nämlich mit den Angelegenheiten, die nahe liegen und nicht aus Utopien genährt werden. Das klingt, als wäre schon das Nachdenken über die Utopie des Schönen und Guten subversiver Verhinderungsaufwand im Angesicht einer dringlicheren, alltäglichen Aufgabe.
Candides Haltung ist natürlich nicht die unsere: Wir finden – ganz optimistisch –, dass Kommunikation und Gestaltung einer besseren Welt dienen – auch wenn es sich »nur« um so etwas wie Lesevergnügen, Lust am Entdecken oder das gute Gefühl handelt, mit Gestaltung der Aufmerksamkeit zu schmeicheln. Das ist durchaus eine pragmatische Haltung – wenngleich es immer Leute gibt, die solches Tun als Rezeptionsprothesen brandmarken. Aber die quälen sich ohnehin aus Prinzip und sind hoffentlich in der Minderheit.
Wir widersprechen Voltaires Candide, dem gefallenen Optimisten, der meint, die Utopie könne ihm gestohlen bleiben, weil die graue Realität dringlicher sei. Man muss die Utopie doch nicht verbannen, nur weil sie mit der Banalität des Alltags kollidiert! Gut Gesagtes, das keinen Bezug zum Handeln hat, ist ohnehin Small Talk. Gestaltung, die ohne inhaltlichen Bezugspunkt auskommt, ist fraglos Ornament. Darum kann es uns nicht gehen.
Kommunikation und Design, wie wir sie verstehen, gehen ein Bündnis mit dem Inhalt ein, heben ihn und werden selbst durch ihn geadelt. So funktioniert das. Und wir freuen uns, wenn so mancher Beinahe-Candide am Ende des Gestaltungsprozesses erkennt, dass funktionale Gestaltung zusammen mit dem Inhalt reaktionsfreudige Moleküle hervorbringt, die die ganze Sinnfracht am richtigen Ort im Gehirn abladen. Da drängelt sich also nichts nach vorn und ist eitler Selbstzweck oder ästhetisierte Verumständlichung Marke Glanzlack. Nur die Kunst darf solche Vehikel erzeugen, der Ironie wegen.
Ernsthafte Gestaltung entzieht sich automatisch dieser Haltung, lässt sich aber andererseits vom Dogma der Zweckdienlichkeit nicht am Gängelband führen. Vor allem will sie das Recht auf Utopie, Phantasie und Leidenschaft behaupten. Denn Gestaltung ist auch positive Veränderung des Inhalts. Ein Text wird durch Typografie lesbarer, durch Leseführung gar verständlicher. Ein Layout schafft Ordnung, wo die Gleichzeitigkeit der Inhalte Überforderung erzeugen würde. So kommt es, dass nicht gezeigte Bilder, die der Gestalter wegzulassen beschließt, mitunter genau so wichtig werden wie die Bilder der gezeigten Auswahl. Denn genau genommen kann sich Information nie ganzheitlich und total auf den Zustand aller Teile beziehen – ein hartnäckig sich haltender Irrtum. Sie entsteht im Gegenteil erst durch den Zustand einer Auswahl. Sie ist das Produkt gelenkter Verknappung und bewusster, positiver Vorenthaltung, sprich auswählende Redaktionsarbeit. Und insofern ist sie immer subjektiv. Gute Gestaltung macht also Vorgaben, wie und wo rezipiert werden soll. Entsprechend definiert ein Corporate Design inhaltliche und ästhetische, soziale und demografische, architektonische und ökonomische Klammern, die bewusst andere Aspekte unserer Kultur außen vor lassen, gar ignorieren. So kommt Corporate Design ohne Geschmacksverbote auch nicht aus. Dass diese »Eingriffe in das System« manchem modernen Candide nicht behagen, müssen wir leider übergehen.
Gestaltung ist nicht zwangsläufig Schauplatz marketing-relevanter Fronteinsätze. Machen wir uns nichts vor: Designer neigen zum Hyperventilieren, hinter den Kulissen selbstverständlich. Gute Gestaltung ist aber anderseits auch nichts für Zwanghafte, die alles zu erklären versuchen und sich partout nicht darauf einlassen wollen, dass auch einfache Assoziation, schlichte Zäsuren, Brüche in der Logik und die Abkehr vom Gewöhnlichen Aufmerksamkeitpotentiale hervorbringen, wie sie der puren »Message« vielleicht nicht anhaften. Ja, die Botschaft! Letztlich darf alles sein, was nicht wehtut. Trotzdem beweisen wir aus Prinzip gute Kinderstube. Denn nichts ist demotivierender als hyperaktive Arroganz.
Man darf nicht vergessen, dass Kommunikation nicht eine vorauszusetzende, »angeborene« Eigenschaft des Inhalts ist, sondern seine ihm angeheftete mediale Form. Das ist unsere Definitionshoheit, wenn man so will. Und wie kann Markenführung erfolgreich agieren, wenn der »Absender« nicht bereit ist, das Wagnis der kreativen Eigendistanz einzugehen? Wir ermutigen dann unsere Kunden, dem »Empfänger« noch mehr Intellekt, Empathie und Spielfreude zu unterstellen. Wir beobachten nämlich zunehmend, dass sie und er Redundanz langweilig finden, erhobene Zeigefinger süffisant missachten und mit dem Attribut »uncool« schnell bei der Hand sind.
Wem trotzdem daran liegt, seinen Mitmenschen zu erklären, dass eine Kurve rund ist, sollte mehr Satire lesen. Falls das zu nichts führt, sagen wir: Schneiden Sie den Kuchen bitte nur in sechs Stücke, wir sind einfach nicht hungrig genug, um zwölf zu essen.